Tschernobyl – Eine Reise in die Vergangenheit

Es war einmal….

Prypjat war eine sowjetische Vorzeigestadt. Ein Ort der Elite, des Wohlstands, der Zukunft.
35 Jahre später ist von dieser „Zukunft“ nichts übrig geblieben.

Seit dem Reaktorunfall von 1986 in Tschernobyl hat sich der Ort in eine Geisterstadt verwandelt. Jahrelang nur noch sporadisch besiedelt ist Prypjat mittlerweile vollkommen verwaist.

Prypjat heute

Lange hatte ich nach der HBO Miniserie im letzten Jahr überlegt, ob ein Besuch aktuell überhaupt sinnvoll ist, da ich von einer „Explosion der Besucherzahlen“ im letzten Jahr gelesen hatte. Nach genauerer Recherche konnte ich aber herausfinden, dass sich diese Zahl auf etwa 200 pro Tag beläuft. Um dennoch auf Nummer sicher zu gehen, hab ich mich für einen Besuch im Winter entschieden, um den „Gutwettertouristen“ zu entgehen.

Tschernobyl – Die Tour

Meine Tour startete äußerst zeitig und äußerst pünktlich um 8. Schon bei der Ankunft am Treffpunkt stellte ich fest, dass es sich bei den vielbeschriebenen „Bussen“, die angeblich in Massen nach Tschernobyl fahren, nur um Minibusse handelt. In meinem Falle 14 Personen plus Guide. Nach 2 stündiger Fahrt erreichten wir gegen 10 den ersten Checkpoint, an dem sich alle Minibusse, die ebenfalls die Sperrzone an diesem Tag besuchten, sammelten – 8 weitere an diesem Tag, plus noch 1-2 private Touren.
Diese Menge an Menschen habe ich am gesamten Tag nur noch ein einziges Mal gesehen, mittags in der Kantine. Ansonsten konnte man sich gut aus dem Weg gehen.

Der erste Stopp nach dem Checkpoint, Ausstattung mit Strahlenmessgeräte und Souvenirkauf, war Zalissya. Das Dorf ist mittlerweile so gut wie menschenleer und liegt etwas versteckt im Wald. Dadurch, dass die Häuser in der Regel recht klein sind kann man sich dort ziemlich frei bewegen und jedes Haus auf eigene Faust erkunden. Das Dorf bietet einen guten ersten Eindruck davon, wie in 35 Jahren die Natur Stück für Stück wieder Einzug erhält.

Grundschule - Tschernobyl Sperrzone

 

Nach einer alten Grundschule und einem weiteren Checkpoint gehts ein Stück mit dem Bus durch den Red Forest, bzw. was davon übrig ist. Dieser Wald war nach dem Reaktorunglück am stärksten verstrahlt, da die radioaktive Wolke vom Kraftwerk als ersten über dieses Waldgebiet zog. Man weiß genau, was als nächstes passiert und dennoch ist es irgendwie erschreckend, wie auf einmal alle Messgeräte im Bus anfangen wie wild zu piepen. Und man sieht… nix. Die Strahlung ist noch immer da, nicht mehr so hoch wie vor 35 Jahren, aber noch immer messbar, aber man kann sie nicht sehen, spüren, wahrnehmen. Eine unsichtbare Kraft, gespenstig und einschüchternd.

Das Gefühl

Der nächste Stopp war Prypjat. Jeder, der schon einmal ein verlassenes Gebäude, Krankenhaus, Schule oder Flughafengebäude besucht hat, kennt das Gefühl der Stille, der angehaltenen Zeit. Nur dass es sich bei Prypjat nicht um ein einzelnes Gebäude handelt, sondern um eine vollwertige Stadt, angelegt für mehr als 40.000 Einwohner, mit Kino, Theater, Schwimmbad und natürlich Wohnhäusern. Einige dieser Gebäude kann man je nach Tour mehr oder weniger offiziell besuchen. Bei jedem Gebäude schwingt aber ein gewisses Unwohlsein mit. Eingeschlagene Fenster in den Wohngebäuden, die dafür sorgen sollten, dass die evakuierten Personen nicht inoffiziell zurückkehren.

Prypjat Sporthalle - Tschernobyl Sperrzone

 

Eine teilweise eingestürzte Schule, die auf Grund von Baumängeln wohl für eine andere Tragödie geführt hätte, wäre es nicht zu dem Reaktorunglück gekommen. Ein Einkaufszentrum, in dem noch Einkaufswagen herumstehen, einzelne Schuhe, aber auch Elektrogeräte. Ein Schwimmbad, das noch während der Aufräumarbeiten genutzt wurde. Und natürlich der Vergnügungspark, der nur wenige Tage nach dem Unglück hätte eröffnet werden sollen. Immer wieder begleitet vom schrillen Anschlagen der Messgeräte, die einem, wenn man sich gerade mal wie auf einer unschuldigen Fototour fühlt, in die Realität zurück rufen.

Prypjat Vergnügungspark - Tschernobyl Sperrzone

 

Nicht weniger erschreckend sind diverse Denkmäler im näheren Umfeld der Stadt. Eines steht nur wenige 100 Meter vom verunglückten Reaktorblock 4 entfernt, mit direktem Blick auf den Sarkophag, aber noch wichtiger, auf Block 3, der wie eine Doppelhaushälfte mit Block 4 verschmolzen ist und bis ins neue Jahrtausend noch im Betrieb war.
Ein weiteres Denkmal zeigt die Ortsschilder der Dörfer, die Evakuiert und teilweise bei den Aufräumarbeiten völlig dem Erdboden gleich gemacht wurden. Die Anzahl erstreckt sich auf mehr als 180 in der Ukraine und Weißrussland.

Das Fazit

Der Ausflug war sicher einer der außergewöhnlichsten, den ich je unternommen hab. Auch wenn sich einige Veranstalter für eine weitere Freigabe der Sperrzone einsetzten und so weitere Touristen ins Land locken wollen, hat mir die gewisse Exklusivität gefallen. Eine Geisterstadt im Jahrmarkt Style wäre einfach deutlich weniger einprägsam. Außerdem sollte die Sperrzone als das erhalten werden, was sie ist. Ein Mahnmal.

Auch für die Natur hat die Abgeschiedenheit der Region seine Vorteile. Neben Wildpferden haben sich auch wieder Bären und Wölfe hier angesiedelt. Mein Guide meinte dazu nur recht ernüchternd kurz vor Verlassen der Sperrzone, „Die Strahlung ist für Tier und Natur weniger gefährlich als der Mensch“.

Was dann noch blieb, war das dringende Gefühl am Abend mich zu duschen und mich von jedem Staubkorn des Tages zu befreien.

MfG u.s.w.
Andy aka Yps

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